1. Was ist ein Ritual?

Liebste Ritualfreunde,
vielleicht möchtet ihr gerne wissen, welche Gründe für das Praktizieren von Ritualen sprechen. In der Praxis der psychologischen Beratung und Psychotherapie nehmen Rituale einen festen Bestandteil ein.
Doch zunächst einmal: Was ist eigentlich ein Ritual?
Ein Ritual ist eine symbolische Handlung und auch regelmäßige Praxis, die dazu dient, Lebensumbrüche unterschiedlicher Art zu markieren und zu verarbeiten. Rituale folgen einer festgelegten Struktur, haben eine klare Zielsetzung und können sowohl individuell wie auch gemeinschaftlich gestaltet werden.
Es gibt unterschiedliche Arten von Ritualen:
- Übergangsrituale: Diese beinhalten symbolische Handlungen, die für das Abschließen einer alten Lebensphase und das Einläuten einer neuen Lebensphase stehen. Sie werden häufig in Gruppen praktiziert.
- Beziehungsrituale : Diese markieren eine Vertiefung einer bestehenden Bindung oder eine Auflösung der Bindung. Hierzu zählen auch Trennungsrituale und Trauerrituale.
- Alltagsrituale : Alltagsroutinen werden dann zu einem Ritual, wenn ihnen eine symbolische oder emotionale Bedeutung innewohnt. Sie haben den Zweck, das Leben mit Sinn zu erfüllen, persönliche Werte zu leben oder emotionale Zustände zu regulieren.
- Kalendarische & kulturspezifische Rituale: Rituale, die innerhalb einer Kultur aufgeführt werden, um soziale Werte, Übergänge und die kulturelle Identität zu bestätigen.
- Religiöse und spirituelle Rituale : Rituale, die einen stark spirituellen Charakter haben z.B. der Verehrung einer Gottheit oder spirituellen Wahrheit dienen.
Die Entwicklung der Menschheit fußt auf der Praxis von Ritualen: Seitdem es Menschen gibt, gibt es Rituale. Mit den Fragen vom Nutzen von Ritualen beschäftigen sich die Ritualtheorien. Diese betrachten Rituale aus gesellschaftlich- soziologischer, kognitionswissenschaftlicher, und psychologischer Sicht und fanden verschiedene spannende Funktionen von Ritualen heraus, die ich im kommenden darstellen möchte.
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Wie wirken Rituale aus psychologischer Sicht ?
Viele von euch praktizieren Rituale. Doch wie wirken eigentlich Rituale?
Rituale können in verschiedenen Formen das psychologische Wohlbefinden durch Struktur, emotionale Unterstützung und Identitätsbildung verbessern. Sie bieten wertvolle Werkzeuge zur Bewältigung von Lebensveränderungen, zur Stärkung von Beziehungen und zur Gestaltung deines Alltags.

1. Übergangsrituale (Transition Rituals: Arbeit von Schlossberg & Kollegen )
Nach der Ritualtheorie von Victor Turner (1969) wohnt Ritualen insbesondere eine symbolische Bedeutung inne. Er prägte den Begriff „Liminalität“, um den Übergangszustand während Riten zu beschreiben, in denen Teilnehmer von ihrer normalen sozialen Struktur gelöst sind. Dieser Prozess ermöglicht es den Ritualteilnehmern, neue Perspektiven zu gewinnen und soziale Bindungen zu erneuern. Übergangsrituale sind seit Menschengedenken ein wichtiger Bestandteil kollektiver Identität, und auch heute gibt es sie noch. So sind Hochzeiten, Konfirmationsfeiern usw. auch als Übergänge zu verstehen. Doch die Vielfalt an Übergangsritualen, die unsere Ahnen praktizierten, gibt es heute nichtmehr. Solche Gruppenrituale schwinden auch aus unser westlichen, digitalen Welt. Doch warum ist das so?
Der Grund ist, dass vielen der damaligen Übergangsrituale auch eine religiöse Bedeutung innewohnte, die von den Menschen damals angenommen wurde. Doch in unserer westlichen Welt sind heute nur noch wenige Menschen religiös und das Vertrauen in die Religion hat abgenommen. Dadurch sind auch viele Übergangsriten verschwunden oder werden nur noch im Kontext von Religion praktiziert.
Das möchten wir von Nuna Mia Rituale ändern: Wir gestalten psychologische, wissenschaftsbasierte Übergangsrituale ohne religiöse Codes, außerhalb von religiösen Settings. .
Doch wie wirken eigentlich Übergangsrituale?
Schlossberg et al. (2011) haben in verschiedenen Studien gezeigt, dass Rituale Menschen helfen, die mit Übergängen verbundenen Verluste zu verarbeiten und neue Rollen zu integrieren. Die Autoren spezialisieren sich auf Übergangsphasen wie den Eintritt in das Rentenalter oder den Wechsel von der Schule ins Berufsleben und betont die Rolle von Ritualen bei der Anpassung an diese Veränderungen und Lebensumbrüche . Nach Schlossberg & Kollegen (2011) helfen Rituale dabei:
- Den Beginn eines neuen Lebensabschnittes zu markieren
- Eine neue Identität zu entwickeln, die mit dem neuen Lebensabschnitt vereinbar ist
- Unsicherheit zu reduzieren.

2. Beziehungsrituale aus psychologischer Sicht: Green & Bloom (1997)
Emile Durkheim (1912) beschrieb in der Ritualtheorie Rituale als essenziell für die Erhaltung der sozialen Ordnung. Er argumentierte, dass Rituale seit Menschengedenken gemeinschaftliche Gefühle stärken und zur Solidarität innerhalb einer Gruppe beitragen, indem sie kollektive Werte und Normen vermitteln. Nach Pascal Boyer (2001) der ebenfalls bei der Entstehung der Ritualtheorien mitwirkte, werden durch die regelmäßige Wiederholung von Ritualen bestimmte soziale und kulturelle Werte im Gedächtnis einer Gemeinschaft verankert, was die Erinnerung und Weitergabe dieser Werte über Generationen hinweg erleichtert. Somit formen alle Rituale, die in Gemeinschaft praktiziert werden, die gemeinsame Identität und erleichtern die Bindung und das Zugehörigkeitsgefühl.
Rituale, die speziell das Ziel haben, den gemeinschaftlichen Zusammenhalt und die Bindung zu stärken, nennt man Beziehungsrituale. Sie umfassen beziehungsförderliche Handlungen, die in partnerschaftlichen, gemeinschaftlichen oder familiären Beziehungen regelmäßig ausgeführt werden. Eine Studie von Green & Bloom ( 1997) untersucht die Rolle von Ritualen in intimen Beziehungen und fand heraus, dass Beziehungsrituale wie gemeinsame Date-Nights, Feiern besonderer Anlässe usw.
- Das Gefühl von Zugehörigkeit & emotionaler Verbundenheit fördern.
- Eine Grundlage des gegenseitigen Respektes und Verständnisses in einer Partnerschaft schaffen , dass in Zeiten von Streit als Puffer wirken kann.
Eine weitere Studie von Fiese & Kollegen zeigt, dass auch familiäre oder gemeinschaftliche Rituale wie gemeinsame Mahlzeiten und gemeinsames Feiern zur emotionalen Bindung beitragen und die familiäre oder gemeinschaftliche Anpassung aufeinander verbessern.

Rituale zur Lösung von Bindungen und Konflikten: Sigmund Freud (1913)
Zu den Beziehungsritualen zählen ferner auch Rituale, die sich mit der Loslösung einer Bindung befassen. Nach Sigmund Freud’s (1913) und Gustav Jung’s (1921) psychoanalytischer Deutung der Ritualtheorie sind Rituale ein Mittel, um mit innerpsychischen Konflikten umzugehen oder unbewusste Inhalte zu verarbeiten. Freud (1913) sah in Ritualen eine Möglichkeit, verdrängte Konflikte, wie beispielsweise eine schmerzhafte Trennungserfahrung, symbolisch auszudrücken und zu bewältigen. Diese Theorie legt nahe, dass durch Symbolbildung in einem Trauer- oder Trennungsritual komplexen Emotionen, Gedanken und Erinnerungen dargestellt werden können, die ansonsten schwer zu artikulieren wären.
Trauer- und Trennungsrituale spielen somit eine wichtige Rolle in der psychologischen Bewältigung von Verlusten. Nach einer Studie von Miller & Boals ( 2020) konnte festgestellt werden, dass Trauer-und Trennungsrituale signifikant dazu beitragen können,
- Durch einen Raum für die emotionale und kognitive Verarbeitung des Verlustes Trauersymptome reduziert werden konnten .
- Die Rituale fördern außerdem die soziale Unterstützung und helfen den Betroffenen, den Verlust in ihr Lebensnarrativ zu integrieren.

3. Alltagsrituale reduzieren Stresserleben und Cortisolausschüttung : Pascal Boyers (2001)
Wenn du regelmäßige Alltagrituale hast, weißt du bestimmt auch, wie gut sie dir tuen. Doch gibt es dafür auch eine psychlogische Evidenz?
Alltagsrituale sind Handlungsabläufe, die Struktur und Vorhersehbarkeit in den täglichen Ablauf bringen. Nach Pascal Boyers (2001) Weiterentwicklung der Ritualtheorie könnten Rituale durch ihre strukturierende Funktion das Gefühl von Vorhersehbarkeit und Kontrolle stärken, was insbesondere in unsicheren oder stressreichen Zeiten von Vorteil sein kann. Diese Annahme konnte von Studien untermauert werden, die sich mit der Wirkung von regelmäßigen Achtsamkeits- und Selbstfürsorgeritualen auf die Psyche befassten:
- Forschungen von Gaëlle Desbordes und Kollegen haben gezeigt, dass regelmäßige Achtsamkeits- und Selbstfürsorgerituale die Reaktion der Amygdala auf emotionale Stimuli reduziert. Diese Studie verdeutlicht, wie Achtsamkeits- und Selbstfürsorgerituale die emotionale Reaktionsfähigkeit auf Stress vermindern können.
- Untersuchungen von Fredrickson und Kollegen (1993) zeigen, dass Alltagsrituale die Resilienz gegenüber täglichem Stress verbessern, das allgemeine Wohlbefinden erhöhen, Vorhersehbarkeit in den Alltag bringen & die mentale Leistungsfähigkeit steigern.
- Elizabeth Hoge fand heraus, dass aschtsamkeitsbasierte Stressreduktionspraktiken (MBSR) die Produktion des Stresshormons Cortisol senken.